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Nur sitzen und gucken

  • Autorenbild: Kerstin
    Kerstin
  • 2. Mai 2022
  • 3 Min. Lesezeit

Oft werden wir gefragt, was man denn so den ganzen Tag macht, wenn man mit dem Segelboot unterwegs ist. Vor allem dann, wenn so wie jetzt noch Vorsaison ist, das Wasser mit 15 Grad nicht wirklich zum Baden einlädt und die meisten Restaurants noch geschlossen haben.

Szenario 1: man hat guten Wind, der im Idealfall auch so weht, dass man das avisierte Ziel in vernünftiger Zeit erreichen kann. Dann macht man das, wofür ein Segelboot geschaffen ist. Man segelt. Bei einer 2er-Crew heisst das, eine(r) steuert, der oder die andere ist für den Segeltrimm zuständig, darf bei passenden Bedingungen auch mal auf dem Bugkorb sitzen und nach Delfinen Ausschau halten (danke Martin für das kongeniale Sitzbrett 😎) oder sich um die Verpflegung kümmern. Bei rauem Wetter muss man eigentlich immer irgendwas rödeln. Reffen, ausreffen, trimmen, Manöver vorbereiten, die Genua 28x versuchen einzuholen, was aber jedesmal an der zu kurzen Reffleine scheitert…

Dafür schmeckt das hart verdiente „Einlaufgetränk“ umso besser, liegt man erst einmal sicher vor Boje, vor Anker oder - seltener- am Steg einer Marina. Dazu ein kleiner Apéro aus Käse, Chips, Nüssen oder ähnlichem Kraftfutter. Dann die Entscheidung: Landgang oder nicht, Restaurant oder selber kochen. Je nach Vorerfahrung mit den örtlichen Gegebenheiten fällt der Entschluss entweder pro Cevapcici mit Mangold in der Beiz oder pro Spaghetti aglio olio aus der eigenen Kombüse aus. Beides hat seinen Reiz, sieht man einmal davon ab, dass wir 1. eigentlich Vegetarier sind und 2. die Kroaten es seit 40 Jahren nicht geschafft haben, andere Beilagen als Kartoffeln mit Mangold, Pommes oder Salat auf den Tisch zu bringen. Djuvec-Reis ist bereits ein Highlight.

Szenario 2: man hat keinen Wind, den falschen Wind oder bleibt einen Tag in der Ankerbucht, weil die so schön ist. Dann fährt Ruby unter Motor ans nächste Ziel oder bleibt, wo sie gerade ist. Die Crew ist dann den ganzen Tag damit beschäftigt, zu sitzen und zu gucken. Bemerkenswert daran ist, dass wir ja unser Revier kennen wie unsere Westentasche und jeden Ausblick schon 100x genossen haben. Dennoch geht der Dialog meistens so: Guck mal, wie schön es hier ist. - Ja, und das Licht! - Verstehe nicht, warum Leute in die Karibik segeln. Ist doch hier genauso toll. Siehst du das türkisfarbene Wasser? -Und da hinten, ist das ein Schaf oder ein Felsen? -Ein Felsen! -Nein, es bewegt sich. Ein Schaf! -Schau mal, da kommt ein Segelboot. - Au ja, Hafenkino! Usw. usf. Wir sitzen im Cockpit. Und gucken. Und können uns auch nach all den Jahren (Jahrzehnten 😇) kaum satt sehen am Zauber dieser vielfältigen Inselwelt. Oft bleibt dann sogar der mitgebrachte Lesestoff links liegen, weil es einfach so viel zu sitzen und zu gucken gibt.

Heute haben wir eher Szenario 2. Der Nordost fetzt deutlich heftiger in die Bucht als vorhergesagt. Wir ducken uns hinter die Sprayhood und geniessen die wärmende Sonne. Die beiden anderen deutschen Yachten laufen aus, der Abkassierer zockt uns ab, aber freundlich lächelnd, und wir haben sogar Zeit zu lesen. Dann bricht bei der Matrosin ein selten beobachteter Aktionismus aus. Die Reling muss sofort von Flugrost befreit werden! Der Skipper ist umgehend mit Spezialpaste zur Stelle, und wir wienern den Edelstahl, bis Ruby wieder blitzt und blankt.

In der Mittagszeit beschliessen wir, der Bora zu trotzen und gegenan nach Osor zu motoren. Dort wollen wir uns eine Boje schnappen, um später beim abendlichen Brückenschwenk den Kanal zu passieren und in der Ustrine-Bucht vor Anker zu gehen.

Natürlich perfektes Bojenmanöver (die zeitgleich eintreffende Slowenencrew braucht bei 20 kn Wind mehrere Anläufe, um die Boje zu fangen) und die Erkenntnis, dass man in Osor trotz sentimentaler Gefühle nicht mehr unbedingt eine Nacht verbringen muss. Zu sehr stört die Baustelle zur Strassenverbreiterung, zu traurig mutet der Anblick des baulich veränderten Campingplatzes an, auf dem kein Frühstück mit Brückenschwenk-Show mehr auf uns wartet, zu abgewrackt ist das Bojenfeld.

Wir durchqueren vor ein paar Zuschauern den Kanal und gehen im Nordteil der Ustrine-Bucht vor Anker. Hinter dem Hügel ist es fast windstill, und wir öffnen andächtig unser Ozujsko-Bier mit Blick auf den Kirchturm von Osor. Sitzen. Und gucken. Gleich sind die Spaghetti aglio olio fertig.


 
 
 

2 Kommentare


19hwi39
19hwi39
03. Mai 2022

nur sitzen und gucken! wir haben es wieder gespürt und mitgefühlt, was einen im Revier der Kvarner und seiner Inselwelt so begeistern kann. Danke, Kerstin, fürs Mitguckenlassen! Abi

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Kerstin
Kerstin
03. Mai 2022
Antwort an

Haben wir uns gedacht, dass es den einen oder anderen passionierten Mitgucker gibt! Grüsse gehen raus 😎!

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